Mit „Follow The Howl“ veröffentlichte der Organist, Sänger und Songwriter Wolfgang Marvel seine erste eigene EP. In seinen Songs überzeugt der Wahl-Berliner mit funkigen Orgelsounds, seinem einzigartigen Gesang und seiner authentischen, humorvollen Art. Wir haben mit Wolfgang Marvel im Interview über seinen ungewöhnlichen Weg gesprochen, der ihn vom Orgelbau in Passau über politische Psychologie in New York bis nach Berlin zurück zu seiner Leidenschaft, der Musik, führte. Gerne stellen wir euch das Interview lizenzfrei zur Verfügung.
https://youtu.be/0Haslyj-VS4
Mit 8 Jahren hast du schon deine ersten Stücke komponiert. Gibt es etwas, dass dich an Musik besonders fasziniert?
Wolfgang Marvel: Musik übt eine magische Anziehung aus in dem Moment, in dem sie erklingt. Sie rüttelt uns durch. Als Kind hab ich nur Musik gemacht und mich nicht gefragt warum. Später habe ich langsam gemerkt, dass ich ja mit meiner Musik andere in bestimmte Gefühlslagen versetzen kann. Ein prägendes Erlebnis war ein Konzert, das ich zum Abi-Abschluss gab. Ich schrieb dafür Klavierstücke, die das Auf und Ab der anstrengenden Abi-Zeit vertonen. Ein nicht übermäßig gefühlsbetonter Mitschüler kam nach dem Konzert zu mir und sagte, es habe ihn sehr berührt. Für ein befreundetes Hochzeitspaar habe ich letztes Jahr ihre Lieblingssongs auf der Kirchenorgel interpretiert und sie erzählten mir, dass die Partyleute noch ein Jahr danach die ungewöhnliche erfrischende Orgelperformance im Ohr hatten. Dafür mache ich Musik.
Nach deiner Ausbildung zum Orgelbauer hast du Politische Psychologie studiert – ein radikaler Interessenwechsel könnte man sagen. Was war der Grund für diesen Sinneswandel?
Wolfgang Marvel: Als Orgelbauer hatte ich ein Schlüsselerlebnis, als ich ein tiefes Register, die Basspfeifen einer Orgel, stimmte. Nach stundenlangem Stimmen, dem Lauschen und behutsamen manipulieren der Klang-Schwingungen, fällt man schon öfter in eine Art Trance. Das Ganze fühlt sich dann schier endlos weit und ekstatisch an. Man ist zugleich in Kontrolle der Schwingungen, während diese einem durch den ganzen Körper bis in die letzten Winkel fahren. Es ist wie andere Erfahrungen, die etwas Transzendentes haben; so wie Yoga oder Sex. Ist das nicht crazy, dass ein Klang ertönt und ein anderer Mensch dadurch sprichwörtlich in Schwingungen versetzt wird?
Ich habe mich gefragt, wie sowas eigentlich geht und wie wir uns als Menschen überhaupt von Dingen und Menschen in bestimmte emotionale Stimmungen bringen lassen. Ich lernte bei meinen Recherchen, dass hinter unseren Reaktionen eine sehr grundlegende menschliche Eigenschaft stecken musste: Empathie. Um das zu vertiefen, machte ich mein Abitur nach und begann zu studieren. Zunächst sehr breit Geschichte, Soziologie, Politikwissenschaft, VWL, Psychologie und Statistik. Später hat sich daraus mein Dissertationsthema entwickelt: Ich untersuche wie Empathie sich auf andere Dinge auswirkt, die scheinbar nichts damit zutun haben – zum Beispiel politische Einstellungen.
In New York hast du dich dazu entschieden, deine Promotion abzubrechen und und dich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Wolfgang Marvel: Ein Promotionsstudium in den USA ist Auszeichnung und Qual zugleich. Man hat kein Leben mehr und es gibt nur arbeiten, essen, schlafen und das sieben Tage die Woche. Zuhause bekommt man dafür ein anerkennendes Klopfen auf die Schultern, wovon man sich in der Situation aber nichts kaufen kann. Man beginnt sich zu fragen, wofür man das überhaupt macht und ich erinnerte mich daran, was mich glücklich machte: Musik. Ich wollte unbedingt raus, auf einer Open Stage in New York City spielen, in einem Viertel wo es von Musikclubs nur so wimmelt. Also packte ich meine transportable Hammond Orgel ein und fuhr hin. Am Ende haben der Chef, seine Hausband und ich gemeinsam für das Publikum gejammt. Das hat mich total geflasht und ich habe „Blut geleckt“. Daraufhin habe ich entschieden, das Studium in New York abzubrechen.
Ist dir die Entscheidung zu gehen schwer gefallen?
Wolfgang Marvel: Das Schwierigste war mich von meinem Klavierschüler zu verabschieden. Jeden Freitag Abend unterrichtete ich ihn in Klavierimprovisation. Ich brauchte das, um noch etwas klar in der Birne zu bleiben. Bevor ich ging, haben meine PhD-Betreuer und Freunde lange Gespräche mit mir geführt, was ich bis dahin erreicht hätte und fortführen könnte wenn ich bliebe. Ich schätze sie sehr, aber das Umfeld auf Long Island, New York und in der Uni haben mir insgesamt einfach nicht gut getan. Es fehlte einfach an einer gelassen-positiven Stimmung. Es herrschte ein politisch und sozial sehr angespannter Zeitgeist, der sich unter den Menschen natürlich niederschlägt, wenn sie sich tagein, tagaus mit den psychischen Bedingungen der Politik beschäftigen. Ich bin sehr dankbar für alles, was ich in der Zeit dort akademisch gelernt habe und besonders für zwei enge Freundschaften die ich dort schloss. Gleichzeitig war die Entscheidung zu gehen ein Befreiungsschlag.
Mit „Follow The Howl“ hast du gerade deine Debüt-EP mit einer Menge Orgelsounds veröffentlicht. Hast du einen Lieblingssong auf der EP?
Wolfgang Marvel: „Free“ ist für mich die Essenz dieser EP. Zum Einen weil darin beide Orgeln – die Pfeifenorgel und die elektronische Hammond – glänzen dürfen. Zum Anderen drückt „Free“ musikalisch meine persönliche Einstellung gegenüber unserer Zeit aus. Egal welche politische und soziale „Farbe“ man hat, es ist für alle Beteiligten sehr anstrengend. Eine gewisse Coolness – Geduld, Zuversicht fehlt. Von meiner Oma hab ich gelernt, dass es gerade in schwierigen Zeiten hilft die Dinge und sich selbst mit einem Augenzwinkern zu betrachten. Nicht alles, jeden und sich selbst zu Ernst zu nehmen und sich frei zu machen. Das drücke ich in „Free“ aus.
Die Orgel ist ein sehr anspruchsvolles Instrument, das oft mit Kirchenmusik gleichgesetzt wird. Wie schaffst du es, deine Songs gar nicht nach Kirche klingen zu lassen?
Wolfgang Marvel: Das war quasi die musikalische Ausgangsfrage meiner Debüt-EP. Mut gemacht haben mir moderne Musikbeispiele, in denen die Pfeifenorgel überzeugend eingesetzt wird – allen voran in der Filmmusik zu „Interstellar“. Im Gegensatz dazu ist die Hammond Orgel natürlich so gut wie in jedem Genre vertreten. Aber ich wollte nicht etwa Jon Lords Orgelsound für Deep Purple kopieren – auch wenn der grandios ist. Ich machte also spielerische Experimente und fragte mich, wie schaffe ich es dieses „ehrwürdig-verstaubte“ Instrument mit funkigen Beats zu paaren. Womit ich viel experimentiere sind die Klangfarben der Orgel. Nach der menschlichen Stimme ist sie das Instrument mit der größten Vielfalt hinsichtlich möglicher Frequenzen und Farben. Jene Klangfarben zu finden, welche sich geschmeidig in das Instrumentarium eines Songs einfügen, und dennoch dem Orgelsound seinen eigenen Charakter lassen, ist dabei immer mein Ziel.
Wie sieht der Entstehungsprozess eines Songs bei dir aus?
Wolfgang Marvel: Das ist sehr unterschiedlich. Oft sitze ich an der Orgel, Klavier oder Ukulele und mir fällt auf einmal was ein. Manchmal bin ich in einer besonderen Stimmung – irgendwas ist lustig, traurig, bewundernswert und dann kommt das irgendwie raus, wenn man es lässt. Wenn ich gleich mitsinge, ist es meist leichter mit dem Texten. Wenn zunächst die Harmonien und Melodien soweit stehen, hinterfrage ich gerne die Songstruktur. Braucht es eine instrumentale Einleitung oder geht es gleich los mit Gesang auf Schlag eins? Sollten Chorus und Refrain gedreht werden? Ist die Überleitung, der Akkordwechsel zum Refrain schön? Was passt besser? Das mache ich alles am Klavier. Je nach Song folgt darauf die Instrumentation, das heißt zunächst der Beat, Drums und Gesang, dann spiele ich andere Instrumente ein – je nachdem was zu dem speziellen Lied passt. Ich lasse zu, dass sich wieder etwas ändert, von dem man dachte es wäre schon entschieden. Das ist für mich das Schönste und gleichzeitig die größte Herausforderung dabei: Die Kunst voller Energie ein Ziel zu verfolgen, sich dabei aber ständig von gerade getroffenen Entscheidungen gleich wieder zu trennen, um der Musik den Weg frei zu lassen.
Nach dem Release ist vor dem Release: Hast du schon neue Songs in der Pipeline? Wie geht es jetzt bei dir weiter?
Wolfgang Marvel: Besonders happy bin ich über meinen Auftritt nächstes Jahr am 13. August 2021 – im Autokino Zempow, dem größten der ehemaligen DDR. Da kehre ich zunächst zurück zu meinen Filmmusik-Wurzeln und begleite einen bekannten Stummfilm live an der Hammond Orgel. Es macht total Spaß die Begleitung für den Film auszutüfteln. Danach spiele ich direkt vor der Leinwand Songs meines zweiten Albums – also eine rundum coronataugliche Premiere unter freiem Himmel. Das ist nämlich schon voll in der Pipeline. Ich platze vor Energie, jeden Tag fallen mir Harmonien und Texte ein. Ich darf schon verraten: Es wird ganz anders als das erste Album: Acoustic, Piano, Ukulele, Orgel, jeweils mit Gesang stehen im Vordergrund, mit leckeren Beats unterlegt. Es geht also viel mehr in die Singer-Songwriter Richtung.
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