Radoslaw Pallarz im Interview: „Mit so vielen jungen Menschen Musik aufzunehmen, war faszinierend!“

Als Leiter, Musiker und Produzent verwirklichte der Komponist Radoslaw Pallarz zusammen mit 50 Jugendlichen aus dem Stuttgarter Olgahospital ein außergewöhnliches Projekt: Die jungen Musikerinnen und Musiker aus der stationären Schmerztherapie gründeten unter dem Namen NO TIME FOR PAIN eine Band, die mit dem Album „my youth is in flames“ vor kurzem ihr Debüt feierte. Wir haben nun mit Radoslaw Pallarz, dem kreativen Kopf hinter dem nicht gerade alltäglichen Projekt, über die Herausforderungen, Schwierigkeiten und den Entstehungsprozess der Musik gesprochen. Gerne stellen wir euch das Interview lizenzfrei zur Verfügung.

 

Im Rahmen deines neuen Projekts NO TIME FOR PAIN hast du mit 50 Jugendlichen aus der stationären Schmerztherapie ein ganzes Album auf die Beine gestellt. Ein Musikalbum in einem Krankenhaus aufzunehmen ist nicht gerade alltäglich, was war der Anstoß für diese Produktion?

Radoslaw Pallarz: In der Behandlung chronischer Schmerzen spielen Emotionen eine ganz wichtige Rolle, deshalb gibt es dort neben Kunst und Sport auch viel Musik. Diese Aufgabe darf ich im Stuttgarter Olgahospital übernehmen und so habe ich im Verlauf der letzten acht Jahre einige Musik-Konzepte erarbeitet und mit Jugendlichen auf unterschiedlichen Instrumenten sowie in diversen Zusammensetzungen improvisiert. Dabei entstanden oft emotionale und berührende Momente und irgendwann wurde ich gefragt, ob wir nicht auch Songs aufnehmen könnten. Schnell wurde klar, dass es großen Spaß machen, aber nur als professionelles Projekt funktionieren würde. Einen improvisierten Song kann man heute auch mit einem Smartphone aufnehmen, das können und sollen die Jugendlichen auch jederzeit tun. Wir wollten aber Songs aufnehmen, die man final in einem guten Musikstudio mixen und mastern und auch der Öffentlichkeit präsentieren kann. Songs, die auch über Spotify und Apple Music richtig gut klingen.

Was war die größte Herausforderung für dich als Leiter, Musiker und Produzent bei einem derart ungewöhnlichen Projekt?

Radoslaw Pallarz: Wir nahmen unzählige Takes und Improvisationen auf, die dann als Samples bearbeitet und später in die Songstrukturen eingefügt wurden. Diese Fülle an Material zu sortieren war extrem aufwendig, genauso wie die terminliche Abstimmung im Olgahospital. Schließlich war es ja kein Schul- oder Freizeitprojekt und die Jugendlichen hatten nebenher noch Schulunterricht, Arzttermine und sämtliche Therapieeinheiten. Ich musste die Aufnahmen manchmal über Nacht bearbeiten, um mit den Teilnehmern am nächsten Tag am selben Song weiter machen zu können. Die Zeitfenster für die Jugendlichen waren da sehr eng, sodass es schwierig war in der kurzen Zeit bestimmte Arbeitsschritte abzuschließen.

Vom Cover-Design über Lyrics bis hin zu Songkompositionen stammt das Meiste aus der Feder der Jugendlichen. Wie sah der Entstehungsprozess aus, vom ersten Entwurf bis hin zum fertigen Song?

Radoslaw Pallarz: Die Herangehensweise war tatsächlich sehr unterschiedlich. Manche der Jugendlichen hatten innerhalb weniger Tage sehr gute Texte geschrieben, die wir dann sofort nach ihrer musikalischen Idee und Vorstellung vertonen konnten. Sie waren zum Teil sehr konkret mit Takt- und Tempoangabe, manche hatten auch schon Melodievorschläge. Es gab aber auch Phasen, in denen die vielen „Ideenschnipsel“ zusammen gefügt werden mussten, um zu einem Ende zu kommen. Wer ein Instrument spielte und bereit war, Aufnahmen zu machen, hat auf diese Wiese einen Beitrag geleistet. Da waren junge und großartige Musikerinnen und Musiker dabei. Meine Aufgabe war, mit dem Klavier, Gitarre oder Percussion den Ideen eine Struktur, Harmonie und Rhythmus zu geben oder die Gesangspassagen zu variieren. Es waren also eher die theoretischen, organisatorischen und handwerklichen Bereiche, die Seele und das Herz der Musik kam von den Jugendlichen. Genauso wie der Projektname „NO TIME FOR PAIN“.

Mit „my youth is in flames“ ist vor kurzem das Debüt-Album erschienen. Folgt das Album einem roten Faden oder haben die jugendlichen Musikerinnen und Musiker ihrer Kreativität freien Lauf gelassen?

Radoslaw Pallarz: Der rote Faden des Albums ist das Thema „Jugend“, denn die Jugend ist bekanntlich eine extrem wichtige Phase des Lebens, in der viele Weichen für die Zukunft gestellt werden. Es ist aber auch eine sehr heikle und leidenschaftliche Phase, in der einiges schiefgehen kann und die sprudelnde Kreativität einerseits nicht gebremst werden soll, auf der andren Seite Struktur und konsequente Entscheidungen braucht. Deshalb taucht in dem Album immer wieder das Bild vom „Feuer“ auf. Die Flammen der Jugend sind vermutlich auch unsere eigenen Erinnerungen an diese Zeit, als wir dieses Feuer spürten und versucht haben es unter Kontrolle zu halten. Aus diesem Grund vermute ich, dass dieses Album nicht nur Jugendliche, sondern nahezu jeden ansprechen kann. Es ist also auch eine kleine Reise in die Vergangenheit.

Gibt es einen Song, der dir persönlich besonders am Herzen liegt?

Radoslaw Pallarz: Jeder der elf Songs war für mich eine emotionale Erfahrung, die ich vermutlich niemals in meinem Leben vergessen werde. Mit so vielen jungen Menschen Musik zu entwickeln, Takes aufzunehmen und ehrliche und bewegende Songs zu produzieren war für mich ein faszinierendes Abenteuer. Ich kann daher keinen Song hervorheben, das überlasse ich lieber den Menschen, die sich das Album anhören. Sie entscheiden, welchen Song sie in ihre eigene Playlist aufnehmen möchten.

Wie wird es jetzt nach dem Albumrelease mit NO TIME FOR PAIN weiter gehen? Habt ihr weitere Releases geplant?

Radoslaw Pallarz: Das Band-Projekt läuft weiter und wir sammeln bereits Ideen für das zweite Album, das voraussichtlich 2023 oder 2024 erscheinen wird. Nachdem es schon einige Anfragen hinsichtlich Liveauftritte gibt, sind wir dabei Gigs vorzubereiten – im Idealfall mit den drei Sängerinnen Florentine Vossmann, Lucia Bartl und Elle Zoe. In einer schlichten Besetzung mit Gitarren und Drums würde die Musik gut in kleinere Clubs oder Bars passen. Bevor es so weit ist, gibt es aber noch ein paar logistische Herausforderungen, die zu klären sind. Als das Projekt im Frühjahr 2021 begann, ahnten wir noch nicht, dass aus den „Flamen der Jugend“ so schnell „loderndes Feuer“ wird, das man nach dieser besonderen Erfahrung und Veröffentlichung des Albums vor dem Erlöschen unbedingt bewahren will.

 

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