Hollywood-Musik made in Germany: Filmkomponist Steffen Thum im Interview

Der deutsche Filmkomponist Steffen Thum hat über 10 Jahre Hollywood-Erfahrung und war an mehr als 80 internationalen Projekten beteiligt, die weltweit über 7 Mrd. US-Dollar eingespielt haben. Er arbeitete u.a. an Film-Hits wie „Mission Impossible: Fallout“, „Top Gun: Maverick“ und Erfolgsserien wie „The Crown“. Mit seiner eigenen Musik zu Kinofilmen wie „Crawl“ und zuletzt „Stockholm Bloodbath“ etabliert sich Thum als einer der aktuell interessantesten neuen Namen der Film- und Fernsehmusik. Im Interview spricht der in Berlin lebende Komponist über seinen Kreativprozess, seine langjährige Zusammenarbeit mit musikalischen Größen wie Hans Zimmer sowie Lorne Balfe und vieles mehr.

Filmkomponisten sind in Deutschland eher weniger bekannt, in Hollywood umso mehr. Was glaubst du, woran das liegt?

Steffen Thum:
Ich glaube, es hängt in erster Linie damit zusammen, dass amerikanische Filme international einfach am erfolgreichsten laufen, wie natürlich auch in Deutschland. Die wenigen Komponisten, die der breiten Masse überhaupt namentlich bekannt sind, sind folglich die, die an vielen der international erfolgreichsten Filme beteiligt waren. Heute sind das bspw. Hans Zimmer und John Williams. Für die meisten Zuschauer hört es da auch schon auf, und weitere Namen sind dann eher etwas, auf das nur Filmfans achten.
Zum anderen ist die Filmindustrie in Hollywood natürlich eine ganz andere Wirtschaftskraft als hier bei uns, wird kulturell deutlicher wahrgenommen und folglich in der Presse auch detaillierter besprochen.

Du hast bereits mit bekannten Größen wie Hans Zimmer und Lorne Balfe zusammengearbeitet. Wie hat diese Zusammenarbeit deine eigenen künstlerischen Visionen und Techniken beeinflusst?

Steffen Thum:
Als ich damals nach dem Musikstudium anfing, bei Lorne Balfe und Remote Control Productions zu arbeiten, sagte er mir anfangs mal: „Das hier ist wahrscheinlich die beste Schule der Welt“, und vermutlich hatte er damit Recht. Ich habe über die Jahre bei ihm und Hans Zimmer unheimlich viel gelernt, habe an so vielen großen und grundverschiedenen Filmen mitarbeiten können und habe dabei natürlich auch handwerklich und künstlerisch viel mitgenommen. Eine solche Erfahrung lässt sich mit keinem Musikstudium der Welt aufwiegen.

Wie haben deine Erfahrungen und deine musikalische Reise deine Herangehensweise an dein neuestes Projekt für die Komposition für „Stockholm Bloodbath“ beeinflusst?

Steffen Thum:
Als Komponist will man sich ständig ein Stück neu erfinden. Ich bin mir sicher, für die meisten von uns ist das ein persönlicher Drang, die Freude am Experimentieren, aber es ist auch die Natur der Dinge, dass jedes neue Projekt eine andere Herangehensweise und ein anderes Denken erfordert. Die Arbeit der vergangenen 10 Jahre hat mir immer wieder gezeigt, wie wichtig das ist. Wegen genau diesem Abwechslungsreichtum und dem Spaß am Experimentieren bin ich auch an diesem Job hängen geblieben.
Die Musik für „Stockholm Bloodbath“ war dabei eigentlich nur die konsequente Fortsetzung dieser Lektion, und zudem eine besondere Freude, weil der Film die Fusion so vieler verschiedener Stilrichtungen erlaubte. Es passiert nicht alle Tage, dass ich episches Orchester mit skandinavischem Folk und modernen Rock-Einflüssen kombinieren darf.

Welche Rolle spielt Improvisation in deinem kreativen Prozess als Komponist? Gibt es Momente, in denen du spontane musikalische Ideen entwickelst, die später in deine Kompositionen einfließen?

Steffen Thum: Ich bin großer Fan von Improvisation. Ein Großteil meiner Ideen entsteht auf diesem Wege. Und wenn ich nicht direkt ein Keyboard oder eine Gitarre habe, um Ideen festzuhalten, dann kommen sie in der Regel zu den ungünstigsten Zeiten – beim Spazierengehen, beim Kochen, oder nachts, wenn ich eigentlich lieber einschlafen würde.

Durch deine Arbeit mit Hans Zimmer, Lorne Balfe und anderen hast du Musik für einige der größten Kinohits der letzten Jahre beigesteuert. Wie gestaltet sich die Arbeit in solch einem Musik-Team, und wie teilt ihr euch die Arbeit auf?

Steffen Thum: Diese Art der Teamarbeit ist für uns tatsächlich ganz normal. Gerade große Filme wie eben „Top Gun“ oder „Mission Impossible“ haben meist einen sehr anspruchsvollen Produktionsplan, den ein einzelner Komponist zeitlich kaum bewältigen kann. Es ist dann sinnvoll, weitere erfahrene Leute mit ins Boot zu holen, die verschiedene Arbeitsabläufe übernehmen können. Als zusätzlicher Komponist arbeite ich dann zum Beispiel an ausgewählten Filmszenen, nachdem wir gemeinsam im Team besprochen haben, wie die Musik thematisch und stilistisch eingesetzt werden soll. Andere Mitarbeiter kümmern sich ausschließlich um Orchestrierung oder das Bereitstellen aller Musikdateien für die finale Tonmischung. Wenn die Deadline immer näher rückt, ist ein erfahrenes und gut strukturiertes Team essentiell.

Die nahtlose Zusammenarbeit mit einem Regisseur ist oft entscheidend für den Erfolg eines Film-Soundtracks. Wie gestaltest du diese Zusammenarbeit, um sicherzustellen, dass deine musikalische Vision mit der Vision des Regisseurs harmoniert? Was ist da so der Prozess?

Steffen Thum: Filmemachen ist Teamwork. Selbst wenn ich der beste Komponist der Welt wäre, aber nicht wüsste, wie ich mit dem Regisseur oder der Regisseurin arbeiten bzw. kommunizieren soll, dann hätte ich sehr bald keinen Job mehr. Als Filmkomponist vertraue ich einerseits auf meine eigenen Instinkte und mein Know-How, aber man muss auch lernen, im Dienste des Films zu handeln. Im Regelfall begleite ich einen Film für die letzten 2-3 Monate vor Fertigstellung. Der Regisseur hingegen hat unter Umständen Jahre mit der Idee des Films verbracht. Dieser Perspektive muss ich als Komponist vertrauen schenken, muss zuhören und nachempfinden, und das dann in eigene musikalische Ideen übersetzen. Dabei ist es dann auch nicht so wichtig, ob jedes Stück Musik perfekt mit meiner Vision harmoniert – es muss einfach nur die Vision sein, die dem Film bzw. der Geschichte am besten dient. Regisseure haben generell das richtige Bauchgefühl dafür, ob eine Art von Musik passt oder nicht, auch wenn die meisten von ihnen Schwierigkeiten haben, diese Gefühle in Worte zu fassen.

Inwiefern unterscheidet sich deine Herangehensweise an die Komposition für Filme im Vergleich zu anderen Medien wie Fernsehen, Videospielen oder Werbung? Gibt es bestimmte Aspekte, die du in einem Medium bevorzugst oder die dich herausfordern?

Steffen Thum:
Der größte Unterschied ist das Format, und dementsprechend die Laufzeit. Für einen Film entwickle ich einen kompletten musikalischen Handlungsbogen über grob 90-120 Minuten. Die Staffel einer Serie dauert vielleicht 8 Stunden – die Handlung hat also mehr Platz für Details, und die Musik dadurch auch. Ein Videospiel hat ebenso einen sehr langen Handlungsbogen und ist zudem nicht-linear, was ein grundlegend anderes, interaktives Musikkonzept erfordert. Ein Werbeclip dauert maximal 90 Sekunden, ist deswegen aber nicht weniger herausfordernd. Man könnte es mit einem Marathon und einem Sprint vergleichen. Der Musik für alle Formate ist gemein, dass sie innerhalb der gegebenen Zeit eine Geschichte auf den Punkt bringen muss.

Du hast an einer Vielzahl von Genres gearbeitet, von Actionfilmen bis hin zu Horror. Gibt es ein bestimmtes Genre, das dir besonders am Herzen liegt, und warum?

Steffen Thum: Mein Herz schlägt für’s gesamte Genre-Kino, egal ob Drama, Action, Fantasy oder Horror, und ich habe da eigentlich auch keine Präferenzen. Im Gegenteil, die Abwechslung zwischen Projekten ist mir unheimlich wichtig, und darin liegt für mich auch der Spaß. Ich will mir nicht vorstellen, zehn Actionfilme in Folge zu machen zu müssen.

In deiner Karriere als Filmkomponist hast du sicherlich Höhen und Tiefen erlebt. Wie hast du diese Herausforderung gemeistert und was hast du daraus persönlich gelernt?

Steffen Thum: Ich vergleiche das Filmkomponieren manchmal gerne mit Rätsel lösen – der Großteil geht leicht aus der Hand, aber so ziemlich jeder Film hat diese eine Szene, die unheimlich schwer zu knacken ist. Man probiert allerlei Ideen aus, und nichts will passen. Da bin ich in der Regel auch mein eigener größter Kritiker. Gerade dann hilft es aber auch, das Ganze nicht zu sehr zu überdenken, einen Moment Abstand zu nehmen und die Szene am nächsten Tag mit frischen Augen und Ohren zu bewerten.

Welche zukünftigen Projekte oder Genres reizen dich besonders und wie möchtest du dich als Komponist weiterentwickeln und herausfordern?

Steffen Thum: Am interessantesten sind für mich immer die Projekte, die Raum für Abwechslung und neue Experimente bieten. Es reizt mich unheimlich, gewohnte Genre-Konventionen neu zu denken oder mich mit Genres herauszufordern, in denen ich bisher weniger gearbeitet habe Ich schaue selbst sehr oft und gerne Filme und Serien, und es gibt etliche Regisseure und Regisseurinnen, die ich aktuell sehr spannend finde. Gerade die Serienlandschaft hat sich in den letzten 10 Jahren so vielfältig entwickelt, auch hier in Deutschland. Ich fand „Dark“ (Netflix) z.B. super, und die Serie kam auch international sehr gut an. Meine Hoffnung ist, dass wir uns den Mut zu ambitionierten Genre-Produktionen beibehalten.

Für weitere Informationen:
Laila Bahaaeldin | macheete
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